Als das US-Militär abzog …
Über sieben Jahrzehnte war das Kasernengelände von Spinelli ein blinder Fleck zwischen Käfertal und Feudenheim – bis die Idee von der BUGA 23 entstand.

VON GABRIELE BOOTH
Wo heute Eidechsen Unterschlupf finden, Gelbspötter und Neuntöter geschützt in Hecken brüten, wurden einmal Panzer und Militärfahrzeuge gewartet und gewaschen. Jahrzehntelang dominierte das Militär auf dem weiten Gelände zwischen den Mannheimer Stadtteilen Käfertal und Feudenheim – zuerst von 1938 bis 1945 die Wehrmacht, ab Mai 1945 die US Army. Aus der ehemaligen Pionierkaserne wurde Spinelli, benannt nach Dominic Spinelli, einem Sanitäter mit italienischen Wurzeln, der bei der Rettung von zwei verwundeten Landsleuten mit nur 21 Jahren im Zweiten Weltkrieg sein Leben verlor.
Auf dem 82 Hektar großen Gelände entstand ein Logistik-Depot, das eine zentrale Rolle im US-Heeresnachschub in Europa spielen sollte. Ein riesiger Fuhrpark von Panzern und Militärfahrzeugen wurde für eventuelle Kriegseinsätze bereitgestellt und in Krisengebiete transportiert.
Doch nach der Wiedervereinigung nahm die Bedeutung Spinellis ab und das Pentagon entschied, die Truppen in Europa zu reduzieren. So wurde auch diese Fläche wie zahlreiche weitere Militärareale in der Quadratestadt aufgegeben. Für die Stadt Mannheim ergab sich damit die einmalige Gelegenheit, eine ökologisch wertvolle Freifläche mit viel Platz für Sport und Spiel sowie Wohnquartieren an der Peripherie und vor allem einen Frischluftkorridor mit bleibendem Wert für künftige Generationen zu schaffen.
In den Schubladen des Rathauses hatten zwar Pläne für den Fall des Abzugs gelegen, dass er aber dann so schnell Wirklichkeit werden würde, damit hatte keiner gerechnet. Plötzlich standen stadtweit neun Kasernen und über 500 Hektar zur Disposition. Unter dem Stichwort Konversion wurden in der Stadtverwaltung, im Gemeinderat und in anderen Gremien Pläne entwickelt, wie die militärisch genutzten Flächen sinnvoll für die Mannheimer Bevölkerung umgewandelt werden könnten. Das Prinzip Planungshoheit bestimmte das Handeln.

Wohnungen bauen? Gewerbeflächen zur Verfügung stellen? Raum für Kultur, Bildung, Freizeit schaffen? Es gab viele Möglichkeiten, die sich anboten. Doch was tun mit dem riesigen Gelände zwischen Käfertal und Feudenheim, das an ein Landschaftsschutzgebiet, die Feudenheimer Au, angrenzte und durch eine Straße gequert wurde? Doch auch wenn das Thema Klimaveränderung im Jahr 2012 noch nicht so heiß diskutiert wurde wie eine Dekade später, kristallisierte sich bei den politisch Verantwortlichen in der Stadtspitze schnell eine Idee heraus, die auf breite Unterstützung stieß: Spinelli sollte für einen Frischluftkorridor genutzt werden.
Nur: Wie sollte man dieses Projekt finanzieren? Klassische Investoren aus der Wirtschaft waren für unbebautes grünes Land schwer zu begeistern und auch Bund und Land standen nicht zur Verfügung. So wurde die Idee geboren, auf einem Teil des Geländes und für einen limitierten Zeitraum eine förderfähige Bundesgartenschau auf den Weg zu bringen und das Areal im Anschluss als Teil des Grünzugs Nordost zu nutzen, der dann von den Vogelstang-Seen im Nordosten Mannheims über den Neckar bis zum Luisenpark und in die City über eine Fläche von 200 Hektar reicht. An heißen Sommernächten können die Winde vom Käfertaler Wald ungehindert Richtung Innenstadt wehen und dabei nicht nur als Frischluftschneise für eine Durchlüftung der Innenstadt und im Sommer für nächtliche Abkühlung sorgen. Auch Pflanzen und Tiere können sich hier künftig ungestört ansiedeln, Flora und Fauna bekommen Zuwachs. Für die Menschen bietet der Freiraum Platz für Bewegung, Sport und Spiel an frischer Luft. Und das alles ganz innenstadtnah.
Doch nicht bei allen Mannheimern stießen die BUGA 23-Pläne auf Begeisterung. Der Entscheidungsprozess in der Stadtgesellschaft war schwierig, mit vielen kontroversen Diskussionen. Nur sehr knapp ging der abschließende Bürgerentscheid zugunsten der BUGA 23 aus.
Aber dann ging es Schlag auf Schlag: Nachdem die Eigentümerin des Militärgeländes Spinelli, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), das Gelände für die Stadt Mannheim freigegeben hatte, konnte die Bundesgartenschau Mannheim 2023 gGmbH mit ihrem Geschäftsführer Michael Schnellbach loslegen. Fast alle Kasernen wurden abgerissen, Flächen entsiegelt, der Boden nach Altlasten untersucht – und dabei hatte man stets das Nachhaltigkeitskonzept der BUGA 23 im Blick. Von Stahlträgern bis zu Glasbausteinen, möglichst viel Material wurde recycelt und wiederverwertet.
Zum Herzstück wurde die U-Halle, benannt nach ihrer architektonischen Form. Hier haben die US-Amerikaner von der Schraube bis zum Helm alles gelagert, was gebraucht wurde. Mit 21.000 Quadratmeter Fläche war das Gebäude so groß wie vier aneinandergereihte Fußballfelder. Hier heißen nun Restaurants, Ausstellungen und Blumenschauen die Gäste der BUGA 23 willkommen. Trotz der umfangreichen Umbauarbeiten: Die ehemals militärische Nutzung des Areals soll weiter erkennbar sein. „Wir wollen bewusst an die Geschichte erinnern“, betont Schnellbach. Wo einst Militärfahrzeuge befüllt wurden, tanken die Besucherinnen und Besucher während der BUGA 23 neue Energie: Eine verlassene Tankstelle dient als moderner Kiosk, die Panzerlagerhalle als Eingangsbereich und ein historisches Heizhäuschen als „i-Punkt GRÜN“, Anlaufstelle für Gartenfans, mit Blick auf die weite Mitte mit ausgedehnten Wiesenflächen und Panoramasteg.
Zitat:
„Durch die BUGA 23 wird Mannheims Stadtentwicklung nachhaltig vorangetrieben. Die ökologische Aufwertung der Flächen rund um Spinelli verbessert die Frischluftzufuhr der Stadt. Gleichzeitig werden Folgen des Klimawandels abgemildert.“
Peter Hauk, Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg
Interview mit Prof. Stephan Lenzen, RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten
„Der Grünzug Nordost erhöht Mannheims Klimaresilienz.“
Die Heimat des Landschaftsarchitekten Prof. Stephan Lenzen ist zwar Bonn, doch er ist mit seinem Team auch ganz nah dran am „Tatort“ Bundesgartenschau. Schon bald, nachdem der Präsident des Bundes Deutscher Landschaftsarchitekten (bdl) im Rahmen eines europaweiten Ausschreibungsverfahrens den Zuschlag für das Projekt „Grünzug Nordost und Bundesgartenschau 2023“ bekommen hatte, eröffnete er ein Büro mit einem Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Mannheim-Feudenheim. Von dort aus begleitet er die Entwicklung auf der ehemaligen Militärfläche Spinelli.

Herr Professor Lenzen, wie beurteilen Sie die Auswirkungen des Grünzugs und der Frischluftschneise auf das Stadtklima der Stadt Mannheim?
Prof. Stephan Lenzen: Die Grünflächen innerhalb der Stadtfläche haben enorm positive klimatische Wirkungen. Der Biotopfaktor wird verdreifacht, der Grünflächenfaktor verdoppelt, die Grünversorgung vervierfacht, über 1.300 neue Bäume werden gepflanzt. Das führt zu einer Versiebenfachung der CO2-Aufnahme. Außerdem werden die Luftqualitätswerte verbessert und das Gelände schafft für die angrenzenden Wohnungsbauflächen eine hundertprozentige Überflutungssicherheit. Zwei Drittel der Flächen sind jetzt begrünt. Vorher waren drei Viertel der Fläche versiegelt. Dadurch hat sich auch der thermische Komfort, also die angenehme Wahrnehmung auf der Fläche, verbessert. Neben diesen klimatischen und ökologischen Aspekten und der Schaffung neuer Biotopflächen entsteht ein neuer Landschaftsraum, der den Mannheimern zur Erholung, für Sport und Freizeit für alle Altersstufen dient und mit neuen Radverbindungen auch eine Mobilitätswende initiieren kann.
Welche Rolle spielt die Bundesgartenschau für die Realisierung des Grünzugs?
Lenzen: Ohne diese zeitliche Terminierung mit Blick auf den Eröffnungstermin der BUGA 23, den öffentlichen Druck, die bevorzugte Förderkulisse und die für die Bundesgartenschau extra angestellten Fachleute hätte dieser Prozess erfahrungsgemäß mehrere Jahre länger gedauert, wenn er denn überhaupt vollständig umgesetzt worden wäre. Bei einem solchen großen Projekt treffen zwar viele verschiedene Menschen aufeinander, aber durch die Intensität und die Dauer dieser Projekte wächst das Vertrauen und damit auch die gute Zusammenarbeit. Leider hat die fast um zwei Jahre verspätete Übergabe der Fläche dazu geführt, dass die Vegetationsflächen in Teilen nicht die gewünschte Anwachszeit vor der BUGA 23 haben konnten. Aber die Bäume sollen ja für die nächsten Jahrzehnte dort stehen und wachsen und nicht „nur“ für 2023.
Ihr Büro begleitet und berät Kommunen in ganz Deutschland. Wie beurteilen Sie den Mannheimer Weg?
Lenzen: Mannheim hat mit seiner Gesamtkonzeption des Grünzugs Nordost eine sehr gute vorausschauende Strategie entwickelt, um im Hinblick auf den Klimawandel die Klimaresilienz von Mannheim zu erhöhen. Wir planen gerade ein ähnliches Projekt in Köln, wo die Stadt durch die Verlagerung ihres innerstädtischen Großmarktgeländes ihren inneren Grüngürtel vollendet. Diese Aufgabenstellung kommt aber auf alle Städte in Deutschland zu, da sie bis spätestens 2050 ihre Maßnahmen zur natürlichen Klimaanpassung umgesetzt und „in Funktion“ haben müssen, um gegen den Hitzestress und Starkregenereignisse gewappnet zu sein. Und dabei ist immer zu beachten, dass ein gepflanzter Baum erst in 20 bis 30 Jahren seine Wirkung entfaltet.
Die Fragen stellte Gabriele Booth.