Der Einsatz von KI bietet ganz neue Chancen für Diagnose und Therapie im Bereich psychischer Erkrankungen, auch für Prognosen und Prävention. Am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim laufen erste Projekte.
Von Gabriele Koch-Weithofer
Wir wollen die biologischen Ursachen von psychischen Erkrankungen besser verstehen“, sagt Professor Emanuel Schwarz. Schwarz leitet die Arbeitsgruppe „Translationale Bioinformatik in der Psychiatrie“ am Hector Institut für Künstliche Intelligenz in der Psychiatrie (HITKIP) am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim.
Derzeit bearbeiten rund 30 Forschende etwa gleich viele Projekte, teils als Einzelthema, teils kooperieren sie an Schnittstellen. Dabei beschäftigen sie sich mit einer großen Bandbreite von Fragestellungen. Eine davon betrifft die Lebensspanne von Auffälligkeiten. „Krankheiten haben häufig lange Vorgeschichten“, so Schwarz. „Wir wollen verstehen: Wie funktioniert das? Wie, wann und unter welchen Umständen kommt es zur Erkrankung? Wie kann man das im Vorfeld erkennen und vielleicht sogar so beeinflussen, dass es gar nicht dazu kommt?“
17,8 Mio.
Menschen
erkranken jedes Jahr
an der Psyche.
„Stratifikation“ heißt das Stichwort. In der Medizin bezeichnet der Begriff die Identifikation von Auffälligkeiten, die nicht für alle Patienten mit einer bestimmten Diagnose relevant sind. Bislang werden Diagnosen auf Basis von Interviews, Gesprächen und Symptomen gestellt. Möglicherweise lässt sich dieses diagnostische Verfahren durch Auswertung von genetischen Faktoren oder Bildgebungsverfahren weiter verfeinern. „KI kann aus einer relativ großen Gruppe mehrere Untergruppen auf der Basis biologisch homogenerer Grundlagen herausfiltern. Dieses ‚Aufdröseln‘ nach bestimmten Kriterien könnte Anhaltspunkte für biologische Krankheitsmechanismen liefern“, erklärt Schwarz. Die Hoffnung der Wissenschaftler: Vielleicht lässt sich so die spezifische Disposition des Einzelnen verstehen und individuell behandeln. Am Ende könnte eine personalisierte Medizin stehen.
Auch Sprachmodelle wie ChatGPT können hilfreich sein. „In Klinikdokumentationen und Arztbriefen steckt noch Potenzial für eine optimierte Patientenversorgung. KI kann die Texte auf bestimmte Aspekte hin durchforsten, die die Vorhersagewahrscheinlichkeit von zum Beispiel Rückfällen erhöhen“, erläutert Schwarz. Das könne helfen gegenzusteuern. Gleichzeitig müsse die Technologie sicher und ethisch vertretbar angewendet werden. „Die Vertraulichkeit der Patientendaten muss immer sichergestellt sein“, unterstreicht der Experte. „Insgesamt ein sehr spannendes Feld.“
Das HITKIP wurde mit Hilfe der Hector Stiftung gegründet und startete so richtig im Spätjahr 2023. Das Institut nutzt die Forschungsinfrastruktur des ZI sowie das Netzwerk zahlreicher weiterer Abteilungen am ZI. Es arbeitet im Bereich der Grundlagenforschung, ist aber translational, also auf die praktische Anwendung der Ergebnisse in der Patientenversorgung, ausgerichtet. „Wir möchten damit die Grundlage für die Entwicklung von effektiven Medizinprodukten bilden“, betont Schwarz.
Durch KI kann man schneller und zielgerichteter Ursachen und Wirkungen von psychischen Krankheiten erkennen und diese vielleicht sogar verhindern oder heilen.
Dr. Hans-Werner Hector, Gründer der H.W. & J. Hector Stiftung Foto: Daniel Lukac/ZI