Auch in der Versicherungswirtschaft zieht die KI ein. Sie unterstützt die Arbeit der Spezialisten vor allem durch die Optimierung der Ablaufprozesse.
Meldet sich bei der Mannheimer Versicherung künftig am Servicetelefon nur noch eine KI-unterstützte Computerstimme?
Dr. Thomas Niemöller: Nein, am Telefon meldet sich auch in Zukunft ein Mensch. Als Serviceversicherer ist uns der direkte Kontakt zu unseren Kunden und Vertriebspartnern wichtig.
Wo kommt denn KI bereits zum Einsatz?
Niemöller: KI nutzen beispielsweise bereits unsere Dienstleister, mit denen wir bei Kraftfahrzeugschäden zusammenarbeiten. Diese Experten bearbeiten Schäden von vielen Versicherern und können daher die KI mit zahlreichen Fotos z. B. von einem VW Golf „füttern“. So lernt die KI und kann bei einem Kratzer an einem Auto heute schon schnell die Schadenhöhe ermitteln und ein Angebot zur Regulierung machen. Bei vielen Fahrzeugen macht das Sinn, weil es beispielsweise den VW Golf sehr häufig gibt und die KI schnell lernen kann. Anders sieht es bei Oldtimern aus, deren Versicherung eine Spezialität der Mannheimer ist. Da bringt der Einsatz von KI derzeit noch wenig.
Wie merken Ihre Kundin und Ihr Kunde künftig, dass KI verwendet wird?
Niemöller: Es geht sowohl bei der Antragstellung als auch bei der Schadensregulierung immer um Qualität, Geschwindigkeit und Effizienz. Kunden werden nicht mitbekommen, hinter welchen Prozessen KI steht. Sie profitieren aber von der erhöhten Schnelligkeit der Abläufe. So kann die KI Dokumente „lesen“ und die wichtigen Daten für ein Angebot oder einen Antrag zusammenstellen. Wichtige Unterstützung leistet die KI auch in der Softwareentwicklung. KI kann selbst programmieren und schafft hochwertigen Softwarecode. Hier machen wir derzeit erste Pilotversuche.
Entwickeln Sie die speziellen KI-Anwendungen für Ihr Haus selbst?
Niemöller: In Standardsystemen etwa von Microsoft werden z. B. Assistenzsysteme künftig von vornherein dazugehören. Das müssen wir nicht selbst entwickeln. Entscheidend ist, ob die Effizienzsteigerung in unseren Abläufen den Preis für KI-Lösungen des Marktes rechtfertigt. Die großen IT-Anbieter haben in KI Milliarden investiert. Schon weil die Lizenzen für Unternehmen relativ teuer werden dürften, werden wir solche Software nicht immer und überall einsetzen. Unsere eigene Aufgabe zur Nutzung von KI ist es, die nötigen Daten unserer Produkte und Prozesse geordnet nutzbar zu machen. Denn davon hängt der Erfolg des Einsatzes der KI maßgeblich ab.
Können Sie den Mehrwert von KI in Ihrem Haus kurz zusammenfassen?
Niemöller: Die KI kann unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem von Routineaufgaben entlasten, z. B. in der Erstellung von Schriftstücken oder in der Analyse von Daten. Als Spezialversicherer z. B. für Oldtimer, Musikinstrumente und Juweliere haben wir es mit komplexeren Einzelfällen zu tun, der effektive Einsatz von KI wird dort noch einige Zeit benötigen. Vielleicht ist es künftig mit KI möglich, ein entwendetes Schmuckstück automatisch über das Internet wiederzufinden. Aber das ist Zukunftsmusik.
Spart KI Mitarbeiter ein?
Niemöller: Grundsätzlich ist das zu erwarten, weil es bei manchen Aufgaben Effizienzsteigerungen gibt. Aber vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist KI für uns eher eine Möglichkeit, den Fachkräftemangel zu bewältigen. Ich halte es für ausgeschlossen, dass jemand in den nächsten Jahren seinen Arbeitsplatz verliert, weil wir ihn mit KI wegrationalisiert haben. Zudem gibt es im Continentale Versicherungsverbund eine Vereinbarung des Vorstands mit dem Betriebsrat, dass niemand aufgrund des technischen Fortschritts seinen Arbeitsplatz verliert.
Ist KI der große Gamechanger, wie viele erwarten?
Niemöller: Da bin ich vorsichtig. 25 Jahre Berufserfahrung haben mir gezeigt, dass es zwar große Veränderungen gab, dass diese aber nie so radikal erfolgten wie vorhergesagt. Ich erwarte nicht in allen Bereichen, dass sich der Einsatz von KI lohnt. Einen komplexen Sachschaden wie einen Wasserschaden auf teurem Parkett richtig zu bewerten, schafft derzeit keine KI.
Die Fragen stellten Dieter Keller und Ulla Cramer.
ZUR PERSON
Dr. Thomas Niemöller ist seit 2022 Vorstandsmitglied der Mannheimer Versicherung und zuständig für das Thema Digitalisierung sowie die Sachversicherung. Die gleiche Funktion hat er im Continentale Versicherungsverbund, zu dem die Mannheimer seit 2012 gehört. Der promovierte Physiker, Jahrgang 1969, startete seine Berufslaufbahn bei Vodafone. Von 2002 bis 2022 war er im Provinzial-Versicherungskonzern beschäftigt, ab 2012 als Vorstandsmitglied.