„Das Nerd-Image früherer Tage wandelt sich“

Eine Studie des Internationalen Währungsfonds prognostiziert, dass KI künftig bis zu 60 Prozent aller Jobs in Industrieländern beeinflussen wird. Betroffen sind im Gegensatz zu früheren technologischen Umbrüchen auch höher qualifizierte und besser bezahlte Arbeitsplätze. Weiterbildungsmaßnahmen für die von den Veränderungen betroffenen Arbeitskräfte seien für die Bewältigung dieser Herausforderung von grundlegender Bedeutung.

PALTRON

„Es gibt ein Vor- und ein Nach-ChatGPT“, sagt Gerrit Walter, KI-Experte beim Personalvermittler Paltron. Er meint den im November 2022 vorgestellten Chatbot der US-Softwareschmiede OpenAI, der in der Lage ist, über textbasierte Nachrichten und Bilder zu kommunizieren. Grundlage ist ein sehr leistungsfähiges Sprachmodell, das mit einer Vielzahl von Textdokumenten trainiert wurde.

ChatGPT habe das Interesse an der Nutzung von KI in Unternehmen und bei IT-Talenten massiv angeschoben, registriert Walter. Seit fünf Jahren arbeitet der Manager und Experte für digitales Management für den Personaldienstleister Paltron. Beider Hauptaugenmerk liegt auf der Informationstechnologie – und hier zunehmend auf der KI.

Paltron hat sich auf die Suche nach IT-Fachkräften spezialisiert. Beim Ranking der „WirtschaftsWoche“ aus dem Jahr 2024 erhielt der Recruiting-Spezialist zum fünften Mal in Folge den Titel „Bester Personalberater“. Auch das Magazin FOCUS kürte Paltron 2023 zum „Top-Personaldienstleister“. Die Zahl der Jobinteressenten im Bereich IT habe durch das Aufkommen der KI zugenommen, sagt Walter: „Viele Kandidaten springen auf den Zug auf.“ Walter erwartet deshalb in den kommenden Jahren eine gute Basis an Talenten für die in vielen Bereichen mit Nachwuchssorgen kämpfende deutsche Industrie.

Allerdings unterscheiden sich die KI-Professionals von morgen teilweise deutlich von den Kandidaten, die Walter und Paltron üblicherweise für klassische IT-Aufgaben suchen. Überhaupt sei die IT inzwischen sehr breit aufgestellt, sagt Walter: Das Nerd-Image früherer Tage öffne sich. Entsprechend ändern sich Jobprofile: Gesucht sind heute im IT-Bereich vielfach technikaffine Manager mit IT-Hintergrund. Um die zu finden, können die Headhunter inzwischen im ganzen Land und auch international suchen. Der regionale Bezug und kurze Wege sind im Homeoffice-Zeitalter von untergeordneter Bedeutung.

KI-Experten dagegen fühlten sich auch in kleinen Unternehmen wohl, sind bereit, ins Risiko zu gehen und mit einer Idee neu anzufangen. „Sie sind geborene Multitasker, flexibel, spontan und anspruchsvoll“, sagt Walter. Sie unterzeichnen oft Verträge mit kurzen Laufzeiten, weil die Welt ihnen noch viel zu bieten hat und sie sich nicht ewig binden wollen.

Der zunehmende Einfluss der KI verändert somit auch den Fokus der Personalberater: Öfter als früher verhandeln diese mit Gründern, deren Geschäftsmodelle sie verinnerlichen müssen. Viele Auftraggeber haben inzwischen wegen der besseren Rahmenbedingungen ihre Zentrale in Osteuropa: Tschechien, Bulgarien, Rumänien.

Zwischen erstem Vorstellungsgespräch und Vertragsunterschrift vergehen oft nur wenige Wochen. Oft fehlt es an Erfahrung, dafür ist die Bereitschaft dazuzulernen groß. „KI-Experten arbeiten lösungsorientiert und sind extrem zielstrebig“, sagt Walter. sr

KI-Experten sind geborene Multitasker, flexibel, spontan und anspruchsvoll.

Gerrit Walter, Paltron
Foto: Paltron

IHK RHEIN-NECKAR

„Kenntnisse im Umgang mit Künstlicher Intelligenz werden künftig Voraussetzung in fast allen Berufen sein“, sagt Denis Habig, bei der IHK zuständig für das Thema Weiterbildung. Wie aber lässt sich KI einsetzen, um Arbeitsprozesse zu erleichtern und effizienter zu gestalten? Was kann ein Chatbot im Marketing oder in der Kundenkommunikation leisten? Wie schütze ich meine Geschäftsgeheimnisse im Zeitalter von KI? Die IHK Rhein-Neckar bietet Weiterbildungen an, die Grundlagen vermitteln, erste Schritte aufzeigen und auch spezialisiertere Kompetenzen vermitteln sollen. Je nach Bedarf der Teilnehmer soll Wissen aufgebaut und erweitert werden. Der Zertifikatslehrgang „KI-Manager“ bietet die Möglichkeit, „Use Cases“ im eigenen Unternehmen zu identifizieren und Lösungsansätze zu entwickeln.

In 66 Unterrichtseinheiten entwickeln die Teilnehmer – nach einer Einführung in die Welt der KI – für ein in ihrem Unternehmen identifiziertes Problem eine KI-basierte Lösung. „Damit ist der direkte Praxisbezug hergestellt und eine zielgenaue Anwendung des Erlernten möglich“, sagt Habig. Mitarbeiter einer Großbank hätten zum Beispiel für ihren Arbeitgeber ein Modell entworfen, um auf Basis von Kundendaten Kreditanalysen zu verbessern und damit das Ausfallrisiko zu reduzieren. Für ein Softwareunternehmen stand der Zugang aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu internen Informationen im unternehmenseigenen Wissensmanagement im Fokus. Hier war die Lösung ein neu entwickelter Chatbot, der die Auffindbarkeit des notwendigen Wissens sicherstellt. Ein Autohaus wollte mit KI die Bearbeitung von Gewährleistungsansprüchen optimieren. Jetzt muss nur noch der jeweilige Vorfall eingegeben werden, und das Programm spuckt passend zur Automarke die zutreffenden Ansprüche aus. „Die Investition in KI-Kompetenz ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens“, wirbt Habig für Weiterbildung. sba

AGENTUR FÜR ARBEIT MANNHEIM

Weiterbildung ist eine wichtige Grundlage für den Aufbruch in die Welt der Künstlichen Intelligenz. Mit dem Qualifizierungschancengesetz wurden von der Bundesregierung entsprechende Fördermöglichkeiten schon 2019 erweitert und flexibilisiert – und zum 1. April 2024 der Zugang und die Leistungen mit dem sogenannten Qualifizierungsgeld noch einmal verbessert. „Wenn ein Unternehmen von einer handwerklichen Produktion auf eine KI- und computergestützte Fertigung wechselt, sind Weiterbildungen die einzige Möglichkeit, damit Mitarbeiter auf ihren angestammten Arbeitsplätzen bleiben können“, sagt Thomas Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Mannheim. „Da fast alle Branchen und Betriebe von diesem Strukturwandel betroffen sind, gibt es hier auch keine Beschränkung des Qualifizierungsgelds auf ein Anwendungsfeld.“ Neben der Automobil-und ihrer Zulieferindustrie nennt er auch energieintensive Bereiche wie die Herstellung von Glas und Keramik, die Verarbeitung von Steinen und Erden, die Herstellung von chemischen Erzeugnissen oder die Metallerzeugung und -bearbeitung. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die für eine Weiterbildung das Qualifizierungsgeld in Anspruch nehmen, erhalten von der Bundesagentur für Arbeit 60 Prozent ihres Nettogehalts ausgezahlt, wer Kinder hat, erhält 67 Prozent. Das Qualifizierungsgeld greift dabei als Lohnersatz. Das bedeutet, dass die Mitarbeitenden für die Zeit der Weiterbildung Geld von der Arbeitsagentur anstelle ihres Gehalts bekommen. „Im Wesentlichen gibt es für diese Leistung drei Voraussetzungen“, so Schulz. „So muss die Gefahr bestehen, dass wegen des anstehenden Strukturwandels durch Digitalisierung und KI je nach Zahl der Beschäftigten ohne Weiterbildungsförderung zehn bis 20 Prozent der Arbeitsplätze wegfallen, die berufliche Weiterbildung muss mehr als 120 Stunden dauern und grundsätzliche Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln.“ Eine Schulung für eine betriebsspezifische Software sei über solche Fördergelder beispielsweise nicht abgedeckt.

Mehr als drei Milliarden Euro nimmt die Bundesregierung im Jahr 2024 für das Qualifizierungsgeld in die Hand. „Die Agentur für Arbeit Mannheim arbeitet hier eng mit Bildungsträgern zusammen, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben“, sagt Schulz. uc

Die Nachfrage nach dem Qualifizierungsgeld in Mannheim ist hoch.

Thomas Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Mannheim Foto: Agentur für Arbeit