In nur wenigen Bereichen wird die KI Inhalte und Prozesse so grundlegend verändern wie in der Kommunikation und dem Wissensmanagement. Mannheimer Firmen müssen sich darauf einstellen.
SPARKASSE RHEIN NECKAR NORD
In einer Stadt wie Mannheim, in der unzählige verschiedene Sprachen gesprochen werden, wird die Kommunikation zur Schlüsselaufgabe. Die Sparkasse Rhein Neckar Nord lässt künftig KI Kundenanliegen übersetzen – das hilft nicht zuletzt auch dem Team. „Unsere Kundinnen und Kunden können ihre Wünsche und Fragen in unserem Chat künftig in der eigenen Sprache vorbringen und erhalten eine KI-generierte Antwort“, erklärt Maico Post.
Die KI erkenne nicht nur die Sprache, sie werde auch inhaltlich das Anliegen „verstehen“, wirbt der Referent für Innovation der Sparkasse Rhein Neckar Nord für diese Neuerung. Die Rückmeldung erfolge natürlich in gleicher Sprache. „Bisher“, sagt Post, „war das nur auf Deutsch möglich.“ Sollte der Chatbot einmal nicht selbstständig weiterhelfen können, werden die Chat-Nutzer zum Fachpersonal weitergeleitet. Auch hier werde es künftig keine Sprachbarriere mehr geben, verspricht Post. Denn die Frage oder der Wunsch werde in Echtzeit für die zuständigen Mitarbeiter in die deutsche Sprache übersetzt.
5-10%
Kontakte
des Kunden-
servicecenters
der Sparkasse
Rhein Neckar Nord
finden nicht in
deutscher Sprache statt.
Der neue Service soll im Laufe des Jahres 2025 zur Verfügung stehen. „Menschen fühlen sich besser verstanden und wertgeschätzt, wenn sie in ihrer Muttersprache kommunizieren können“, so Pressesprecher Rico Fischer. Im besten Fall führe das zu höherer Kundenzufriedenheit und Kundenbindung. „Auch für unser Team ist die Simultanübersetzung natürlich ein Segen – niemand spricht jede Sprache. So werden Kommunikationsbarrieren abgebaut und Effizienzen gesteigert.“
Zwischen fünf und zehn Prozent der Kontakte des Kundenservicecenters finden nach Schätzung der Sparkasse nicht in deutscher Sprache statt. Immerhin sind Sparkassenkunden immer auch in gewisser Weise Spiegelbild der Gesellschaft. Nach den Angaben der Stadt leben Menschen aus 170 Nationen in Mannheim, rund 45 Prozent der Mannheimerinnen und Mannheimer haben Migrationshintergrund.
Ein Teil dieser Menschen sei noch nicht lange hier. „Die Sprachbarriere kann zu Kommunikationsschwierigkeiten führen, die wir mit unserem Angebot abbauen wollen“, sagt Fischer. In einem nächsten Schritt soll das KI-basierte System auch für den Service per Telefon eingeführt werden. Zuerst aber stehe der Chat im Fokus.
Größte Herausforderung sei die Qualitätskontrolle, zumal die Sparkassenmitarbeiter nicht alle Sprachen selbst übersetzen können. „Hier werden wir mit Stichproben arbeiten“, sagt Fischer. „Wir freuen uns aber auch über Feedback unserer Kundinnen und Kunden, zu dem wir sie jederzeit herzlich einladen. Persönlich – oder per Chat.“ sr
FUCHS
Schon seit 1970 begleitet ein Mitarbeitermagazin die Fuchs-Familie – seit 2016 unter dem Namen „Fuchs Insight“. Die Zeitschrift, so der damalige neue Ansatz, sollte nicht einfach nur informieren, sondern den Beschäftigten einen tieferen Einblick in das Unternehmen geben. Nun ist das Magazin einen weiteren Schritt gegangen: Es ist jetzt ein digitales Medium mit allen Möglichkeiten, die diese Technologie bietet – bewegte Bilder, Filme und Interaktion. Zu lesen ist es auf allen Rechnern des Unternehmens, aber auch auf privaten Endgeräten via QR-Code, vom Computer über das Tablet bis hin zum Handy. Und: Auch die Künstliche Intelligenz ist mit im Boot. Dank KI ist das Mitarbeitermagazin nun in vielen verschiedenen Sprachen verfügbar. Erkannt wird die richtige Sprache für den jeweiligen User anhand des Internet-Browsers. „Bisher gab es die ‚Fuchs Insight‘ nur in Deutsch oder Englisch“, so Simone Binder, die bei dem Mannheimer Schmierstoffhersteller für die interne Kommunikation zuständig ist. „Nun wird sie automatisch durch eine Übersetzungs-KI zusätzlich in Spanisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Portugiesisch, Schwedisch und Chinesisch übersetzt. Damit decken wir ungefähr 80 Prozent unserer Belegschaft ab.“
Insgesamt werden in den 55 operativen Gesellschaften des Unternehmens mehr als 30 verschiedene Sprachen gesprochen, und nach und nach soll das Magazin auch in weiteren Sprachen verfügbar sein. „Ein großer Mehrwert ist die neue digitale Version vor allem für unsere Mitarbeitenden in der Produktion. Aufgrund unserer globalen Präsenz und der vielen verschiedenen Sprachen in der FUCHS-Welt war es in der Vergangenheit nicht möglich, jedem Beschäftigten gleichermaßen Zugang zu unserem Mitarbeitermagazin zu verschaffen. Das ändert sich nun durch den Einsatz von KI“, sagt CEO Stefan Fuchs.
FUCHS nutzt KI nicht nur bei den Übersetzungen seines Mitarbeitermagazins, sondern auch im Bereich Forschung und Entwicklung und bei der Entwicklung neuartiger Rezepturen für Schmierstoffe und Fette. KI kann die erfolgversprechendsten „Kandidaten“ bei neuen Formulierungen auswählen und vermeidet auf diese Weise frustrierende Fehlschläge bei den erforderlichen Experimenten und Qualifikationsprüfungen. Ein weiteres Plus: KI kann große Mengen von Informationen strukturieren und Zusammenhänge erkennen und ist so in der Lage, aus Patentdatenbanken, wissenschaftlichen Publikationen oder auch Internetseiten relevante Trends und Entwicklungen frühzeitig zu erkennen – ein wichtiges Hilfsmittel, um Potenziale und „Spielfelder“ zu identifizieren, die für eine Firma wie FUCHS interessant sein können. uc
ENGELHORN
Es sind nicht nur der Einkauf vor Ort oder die Online-Bestellung, die den Kontakt zwischen den Kundinnen und Kunden und dem traditionsreichen Mannheimer Modehaus engelhorn ausmachen. „Jedes Jahr erreichen uns zudem 140.000 Anrufe“, weiß Serviceleiter Harald Zier, ein Bereich, um den sich allein 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Einzelhandelsunternehmens kümmern. Und dies ist eine große Herausforderung, möchte man doch alle Wünsche erfüllen und alle Probleme lösen – und das ohne Warteschleifen und ohne fehlerhafte Verbindungen. Die Lösung: Künstliche Intelligenz. „Bei einem ganz überwiegenden Teil der Anrufe geht es um eine Weiterleitung in eine ganz spezielle Abteilung oder die Frage ‚Wo bleibt mein Paket?‘ “, so Zier. „Ausführliche Gespräche zu organisatorischen Fragen wie Zahlungs- oder Rückgabemodalitäten sowie Reklamationen machen nur rund 20 Prozent der Gespräche aus. Hierfür mehr Zeit zu schaffen, das ist unser großes Ziel. Seit Oktober 2024 setzen wir Künstliche Intelligenz ein, um in diesem Bereich deutlich voranzukommen.“
Die ersten Erfahrungen sind sehr positiv, freut sich Zier und nennt ein Beispiel: „Möchte ein Kunde beispielsweise mit einer Abteilung verbunden werden, bei der er einen ganz bestimmten Schuh erwerben kann, leitet ihn eine KI-gesteuerte Stimme schnell und sicher weiter.“ Basis für diesen Service sind rund 1.500 Begriffe, mit denen engelhorn die KI gefüttert hat – angefangen von unterschiedlichen Artikeln aller Art, über Marken und Lieferanten bis zu unterschiedlichen Etagen. Bei der Frage nach einem vermissten Paket hilft die Kundennummer der KI, den Lieferstatus im Online-System zu finden. Und dabei soll es nicht bleiben. engelhorn hat durchaus noch weitere Ideen, in welchen Bereichen sich die KI im Telefonservice einsetzen lässt. „Wir denken über Themen wie Rücksendungen von Paketen, Fragen nach dem Punktestand der Kundenkarte oder das Erstellen von Entschuldigungsschreiben nach, bei denen die KI helfen kann, den bestmöglichen Entwurf zu wählen, der dann von uns selbstverständlich noch ergänzt wird“, berichtet Zier. „Auf diese Weise können wir unser Kundenservice-Team weiter von der Beantwortung von Routineanfragen entlasten und eine persönliche Betreuung dort gewährleisten, wo sie wirklich wichtig ist.“ Durch die höhere Produktivität und Effizienz sei es außerdem möglich, die Personalkosten stabil zu halten, zumal es derzeit ohnehin schwierig sei, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Außerdem könne KI standardisierte und immer wieder auftauchende Fragen häufig präziser und schneller beantworten als ihr menschliches Pendant, ist Zier überzeugt: „Natürlich ist die KI nur so gut, wie die Daten, die sie zur Verfügung hat. Aber beim Lernen ist sie extrem schnell.“ uc
UEBERBIT
In den kommenden Jahren gehen Millionen Beschäftigte aus der Babyboomer-Generation in Rente – und sie nehmen jede Menge Wissen mit, das den Unternehmen fehlen wird. „Diesem Kompetenzverlust lässt sich mit KI-Lösungen gut entgegenwirken“, ist Daniel Bönisch, Geschäftsführer der Mannheimer Digitalagentur Ueberbit, überzeugt.
Der Kommunikationsdesigner hat die Firma 1996 gemeinsam mit dem Physiker Dr. Boris Stepanow gegründet. Zusammen leiten sie die GmbH als Inhaber. Mit 3,4 Millionen Euro Umsatz gehört das Unternehmen zu den größeren deutschen Internetagenturen im Ranking des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW). 35 Mitarbeiter sitzen im Speicher7 im Mannheimer Hafen und in der Außenstelle in Stralsund.
KI bietet die Chance, bei der digitalen Transformation deutlich schneller und effektiver voranzukommen.“
Daniel Bönisch, Geschäftsführer UEBERBIT Foto: UEBERBIT
„Eine der führenden deutschen Digitalagenturen für Schlüsselaufgaben der digitalen Transformation“ nennt sich die Agentur selbst auf ihrer Internetseite. Dabei setzte sie bei KI wie generell auf Open-Source-Systeme, also frei zugängliche Software. Technologische Innovationen sollten nicht ausschließlich in den Händen weniger Großunternehmen liegen. Wichtigstes Ziel sei es, den Kunden, meist großen mittelständischen Unternehmen, Lösungen mit Mehrwert zu liefern.
„Wir können jetzt KI sehr pragmatisch und effizient zum Einsatz bringen“, sagt Bönisch. Gerade Mittelständlern biete dies die Chance, Anschluss an die digitale Transformation zu finden: „Jetzt werden die Karten noch einmal neu verteilt.“
Der große Vorteil: Die mittelständischen Kunden brauchen keine eigenen KI-Spezialisten. Neben dem Bewahren von Wissen ausscheidender Mitarbeiter hilft KI auch im Bereich Marketing und Kommunikation, Inhalte schnell zu erstellen und auszuwerten. Im Kundendienst macht sie effizienteres Arbeiten möglich. Potenziale sieht Bönisch zudem bei der Personalsuche und der Mitarbeiterentwicklung.
Eine entscheidende Rolle spielt die Datensicherheit. Nicht nur die Bedrohung im Internet nimmt zu, sondern auch regulatorische Anforderungen. „Auch bei der KI sollte man sich etwa fragen, wo die eigenen Informationen gespeichert und wie diese gegen unberechtigte Zugriffe gesichert sind“, rät Bönisch. dik
H&C STADER
Jedes Unternehmen hat seine Geschichte, oft eine sehr lange. Die lagert dann häufig in Form von Kisten und Kästen in Kellerräumen und wartet darauf, zum Leben erweckt zu werden. Dafür sind die Experten der Mannheimer Geschichtsagentur H&C Stader zuständig. Sie sichten die Bestände, suchen den roten Faden, sortieren und katalogisieren. Immer häufiger kommt dabei auch Künstliche Intelligenz, KI, zum Einsatz.
Das setzt allerdings voraus, dass die Informationen bereits in einer Datenbank, zum Beispiel in einem Archivinformationssystem, gespeichert sind. „Das heißt, alles, was nicht bereits in einem digitalen Format vorliegt, muss digitalisiert und in die Datenbank eingepflegt werden“, erklärt Dr. Ingo Stader, Firmengründer und CEO. Das geschieht bei jedem Projekt aufs Neue. Die Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte erfordert so auch eine klare Strategie zur Digitalisierung, zum Aufbau passender Datenbanken oder zur Erweiterung bestehender Archivsysteme. Wo diese Grundlagen gegeben sind, kann KI Ergebnisse liefern, die über klassische Archivabfragen weit hinausgehen. „Bereits heute können die Tools angefügte Dokumente zusätzlich durchsuchen – oder dank moderner Algorithmen zur Gesichtserkennung selbstständig ganze Fotodatenbanken durchsuchen und sortieren“, betont Matthias Schlösser, bei H&C Stader für den Archivbereich zuständig.
Mit ähnlichen Verfahren unterstützen KI-Tools auch bei einem anderen großen Thema der Archivarbeit: Handschriften. Mühevolles Entziffern und Transkribieren von alten handschriftlichen Dokumenten gehört zu den zeitaufwändigsten Aufgaben von Archivaren und Historikern. Wer in seinem Unternehmensarchiv also ein altes Protokoll oder einen Brief des Firmengründers findet, steht als ungeübter Leser schnell vor einer schier unüberwindbaren Hürde. Hier kommt moderne Zeichen- und Texterkennung ins Spiel, die auch alte Handschriften mit hohen Erfolgsquoten lesen kann.
Ersetzt KI also bald alle mühevolle Archivarbeit? Ganz so schnell geht es wohl nicht: Noch immer machen analoge Quellen für Stader und sein Team einen Großteil der Recherchearbeiten aus. Dafür werden auf Historiker künftig ganz neue Herausforderungen zukommen – gerade aufgrund der Möglichkeiten, die neue Technologien bieten. „Gefälschtes und fehlerhaftes Material zu erkennen, seien es manipulierte Bilder oder verzerrte Texte, wird in Zukunft eine riesige Aufgabe sein“, sagt Stader. Und der beste Beleg für die Authentizität einer historischen Information? Die physische Quelle. Trotz aller Fortschritte hat der gute alte Aktenordner also noch lange nicht ausgedient. sba
ALEX & GROSS
Mitte 2023 kehrte der digitale Vertriebsspezialist ALEX & GROSS aus Schwetzingen zurück nach Mannheim, wo das Unternehmen 2001 gestartet war. Für die rund 250 Mannheimer Mitarbeitenden wurde im Gebäude von Peek & Cloppenburg auf den Planken eine Fläche von 6.300 Quadratmetern angemietet, mit dem Ziel eine Location zu finden, in der sich das Team beruflich, aber auch persönlich wohlfühlen kann – unterstützt durch die zahlreichen Restaurants und Einzelhandelsunternehmen im Umfeld. Wichtiger Player am neuen Standort: die Künstliche Intelligenz.
„Seit rund einem Jahr beschäftigen wir uns mit KI“, so Jochen Gross, der gemeinsam mit Andreas Alex das Führungsduo des Unternehmens bildet. „Und die Ergebnisse sind verblüffend.“ Die wichtigste Rolle spielt das Thema beim sogenannten „Lead Scoring“. Hier hilft die KI, aus der Vielzahl von „Spuren“, die Besucher auf den Webseiten und in den sozialen Medien der Auftraggeber des Unternehmens hinterlassen, daraufhin zu bewerten, ob sie ein echtes Kaufinteresse signalisieren und es sinnvoll ist, dort per Anruf oder E-Mail nachzufassen. Die zweite Funktion, bei der die KI eingesetzt wird, ist die Unterstützung der Sales Agents bei ihren Telefonaten. „Während des Gesprächs mit potenziellen Interessenten für Produkte oder Dienstleistungen unserer Kunden liefert die KI parallel Vertriebsargumente“, erklärt Gross. „Sie nutzt dabei Informationen, die in unseren Datenbanken hinterlegt sind und unterrichtet unsere Mitarbeiterin oder unseren Mitarbeiter über das Unternehmen, seine Größe, die Zahl seiner Beschäftigten und die Branche, in der er tätig ist, aber auch darüber, welche Konkurrenzprodukte das Unternehmen im Einsatz hat. In diesem Zusammenhang liefert KI dann Argumente, in welchen Punkten das von uns beworbene Produkt dem von unserem Gesprächspartner verwendeten Produkt überlegen ist, sei es nun in Hinsicht auf den Preis oder die Einsatzmöglichkeiten.“ Das jüngste mithilfe von KI auf den Weg gebrachte „Kind“ bei ALEX & GROSS sind personalisierte E-Books, bei denen auf die Branche oder das Unternehmen des potenziellen Ansprechpartners eingegangen wird. Intern punktet die KI ebenfalls. „Unsere Sales Agents sind natürlich auch sehr froh, dass die KI ihre Akquisegespräche inhaltlich gut zusammenfasst und dokumentiert und diese von den Mitarbeitenden nur noch leicht angepasst werden müssen. Das ist eine wesentliche zeitliche Unterstützung, die wir außerdem bei verschiedenen Meetings vor Ort nutzen“, so Gross.
Die hohen Investitionen sieht er gut angelegt. Sie fließen vor allem in die Manpower für die Entwickler, die die KI mit zahlreichen Informationen füttern. Unterstützt wird das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. ALEX & GROSS beschäftigt insgesamt 400 Mitarbeitende an seinen fünf Standorten in Mannheim, Barcelona, London, Sofia und Kairo. uc