An der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim werden künftige Interpreten und Musikmanager früh auf die digitalen Veränderungen der Musikproduktion eingestellt.
von Sabine Rößing
Im Sommer warfen in Los Angeles die Macher einer Legende hin: Das „Record Plant“ hatte sich über die Jahrzehnte vor allem für die Vertreter des Rock’n’Roll zu einem Sehnsuchtsort und zum Synonym für Erfolg entwickelt. Berühmt wurde das Studio unter anderem dadurch, dass es seine Stars verwöhnte: Wohnzimmeratmosphäre statt klinischer Technik, die Erfüllung auch verschrobener Sonderwünsche für die Legenden des Musikbusiness. Nach 55 Jahren ist jetzt Schluss. Das Studio könne mit dem technologischen Wandel der Musikindustrie nicht länger mithalten, erklärte das Management. Zu den technischen Umbrüchen, die den Musikmarkt so stark und so schnell verändern, gehört auch die KI. „KI beeinflusst musikalisches Schaffen und sie verändert das Marketing von Musik“, sagt David Stammer, Projektmanager für Digitale Innovation und Organisator des Future Music Camp an der Popakademie Mannheim.
Die Einsatzmöglichkeiten vor allem im Musikmarketing hätten sich innerhalb kurzer Zeit enorm erweitert, so der Musikexperte. Von einfachen Formulierungshilfen für Pressetexte bis hin zu Übersetzungen von Songs oder Interviews – KI übernehme viele lästige Routinearbeiten. „Dadurch kann sie Raum schaffen für Kreativität.“
Für angehende Interpreten und Musikmacher dagegen wird wohl manches schwieriger. Schnelleres, einfacheres und vor allem günstigeres Produzieren sorgt dafür, dass Streamingdienste, Label und Verlage mit neuen Inhalten geradezu überschwemmt werden. Sich von der Masse abzuheben und zu unterscheiden, gelinge nur noch wenigen, sagt Stammer. Teure Produktionen sind weder Voraussetzung noch Garantie für Erfolg.
Der langjährige Record-Plant-Studiotechniker Gary Myerberg wird zitiert mit den Worten: „Wenn du ins Studio gehen und 2.000 Dollar pro Tag ausgeben willst, dann nimm das Geld, kaufe einen Laptop und eine Sample- Library oder sag AI, welchen Song du machen willst, und sie wird ihn machen.“
Ohnehin verwischen offenbar zunehmend die Grenzen zwischen von Menschen komponierten Songs und KI-generierter Massenware – zunächst noch für die Hintergrund-Endlosschleife in Fahrstühlen, Supermärkten oder Fitness-Studios. Es werde, ist auch Stammer überzeugt, immer schwieriger, die Unterschiede herauszuhören.
Die Übermacht der Streamingplattformen verändere auch die Art, wie Musik komponiert wird, sagt er. So habe die Branche etwa festgestellt, dass Songs mit kurzen Intros häufiger geklickt werden. Streamingdienste wenden darüber hinaus zunehmend KI an, um die eingehende Flut an Vorschlägen und Veröffentlichungswünschen zu filtern.
„Viele Musikschaffende haben es durch die Dominanz des Streamingbusiness ohnehin schon schwerer, sich durchzusetzen“, warnt Dozent Stammer. KI mache es vielleicht noch schwerer. Neue Möglichkeiten und Risiken entstehen darüber hinaus durch die Vermischung von menschlicher Kreativität und KI-Modulen in einer Art co-kreativem Prozess: Einerseits können sich Musikschaffende mithilfe von KI beispielsweise zu neuen Melodien inspirieren lassen oder neue Klangfarben erschaffen. „Andererseits erhöht zunehmend künstlich erzeugte Musik den wirtschaftlichen Druck“, analysiert Stammer. Außerdem seien rein KI-generierte Inhalte urheberrechtlich nicht geschützt: „Im Falle von Co-Kreationen ist die Situation noch ungeklärt.“
Musikstudenten brauchten heute gute Grundkenntnisse und das Wissen über Zusammenhänge, betont er. Deshalb werden sie an der Mannheimer Popakademie gezielt auf den Wandel in Musikproduktion und Vermarktung vorbereitet. In Paneldiskussionen oder im Future Music Camp erhalten sie die Gelegenheit, sich mit den Folgen der rasanten Veränderungen auf dem Musikmarkt auseinanderzusetzen. Diskutiert werden etwa der Einfluss von KI auf die Rechteverwertung, der Einsatz von KI bei Live-Auftritten oder die Förderung von Music Tech in Deutschland und Europa.
Das Aufkommen von KI zwinge Kulturschaffende und Gesellschaft dazu, darüber nachzudenken, was Kreativität ist und welchen Wert wir ihr beimessen, sagt Stammer. Programmieren können müssten Musikschaffende nicht. Ignorieren dürfen sie die Entwicklungen, welche der digitale Wandel auf ihre künstlerische Zukunft haben wird, aber auch nicht: „Wir versuchen den Studierenden ein Verständnis davon zu vermitteln, welche Veränderungen möglich werden.“
KI beeinflusst musikalisches Schaffen und sie verändert das Marketing von Musik.
David Stammer, Projektmanager für Digitale Innovation und Organisator des Future Music Camp an der Popakademie Mannheim Foto: Sebastian Weindel