„KI erleichtert Ärzten die Arbeit“

Vor dem Linearbeschleuniger ETHOS: Thomas Seiler, Leiter Region Mitte des Medizintechnik-Spezialisten Siemens Healthineers (r.), und Prof. Frank Giordano, Direktor der Klinik für Strahlenmedizin und Radioonkologie an der Universitätsmedizin Mannheim Foto: Siemens Healthineers

Wie wichtig ist KI für die Patientenversorgung in Zukunft? „Mannheim – Stadt im Quadrat“ sprach mit Thomas Seiler, Leiter Region Mitte des Medizintechnik-Spezialisten Siemens Healthineers, über Einsatzmöglichkeiten und neue Chancen sowie die Bedeutung von Klinikkooperationen.

Welche Rolle spielt KI heute in Krankenhäusern und Praxen?
Thomas Seiler: KI wird schon heute in etlichen Kliniken und Arztpraxen genutzt. Gerade große Universitätskliniken sind hier führend. Siemens Healthineers arbeitet beispielsweise schon seit vielen Jahren mit Prof. Stefan Schönberg, Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin, und Prof. Frank Giordano, Direktor der Klinik für Strahlenmedizin und Radioonkologie an der Universitätsmedizin Mannheim, zusammen.

In welchen Bereichen wird KI konkret eingesetzt?
Seiler: KI ist ein Produktivitätstool, das durch seine Einbindung die Leistung der eingesetzten Geräte verbessert, vor allem beschleunigt, leichter bedienbar macht und Befundprozesse unterstützt. So lässt sich beispielsweise durch eine KI-gestützte Kamera bei Computertomographen die Lage des Patienten optimieren. Dies bedeutet bessere Aufnahmen bei gleichzeitig niedrigerer Strahlendosis. Auch beim MRT hilft die Nutzung von KI erheblich. Ein KI-Algorithmus kommt auch hier zu besseren Bildern – mit deutlich weniger Daten. Konkret bedeutet dies: Die Aufenthaltsdauer im Gerät verkürzt sich zum Beispiel bei einer Knieuntersuchung von 20 Minuten auf etwa zwei Minuten. Oder nehmen Sie die Strahlentherapie bei einer Krebsbehandlung: Der medizinische Linearbeschleuniger ETHOS unserer Tochterfirma Varian ist der weltweit erste, der 35 Organe vollautomatisch erfasst. Anhand dieser Daten berechnet er den Bestrahlungsplan stets neu und sorgt so dafür, dass Patienten schonender und präziser bestrahlt werden bei gleichzeitig deutlich verkürzter Bestrahlungsdauer.

Welches ist für Sie der größte Mehrwert von KI in der Medizintechnik?
Seiler: Man muss den KI-Einsatz im Zusammenhang mit der Situation im Gesundheitswesen sehen. Es herrscht ein Mangel an Ärzten und Fachkräften, die Zahl älterer Menschen nimmt gleichzeitig zu. In Zukunft wird es noch weniger Fachkräfte geben. KI kann dazu beitragen, diese Entwicklungen besser aufzufangen. Doch die neuen Systeme sind teuer.

Wie lassen sich die Gelder für die notwendigen Investitionen aufbringen?
Seiler: Da ist zum einen das Krankenhauszukunftsgesetz, das Ende 2020 in Kraft getreten ist. Es stellt für Digitalisierungszwecke Fördergelder zur Verfügung. Das reicht natürlich nicht aus, denn wir hinken in Deutschland bei der Digitalisierung hinterher. Krankenhäuser können aber auch selbst etwas beisteuern, etwa durch Querfinanzierungen. Wo Abläufe produktiver gestaltet werden, kommt es zu Produktivitätssteigerungen, die sich auszahlen. Das Geld kann dann in Zukunftsinvestitionen fließen.

Müssen immer neue Geräte angeschafft werden oder lassen sich auch bestehende Geräte ertüchtigen?
Seiler: Nachrüstung ist in der Tat eine wichtige Option. Hardware veraltet ja nicht so schnell wie Software. Und KI steckt ja in der Software. Solch ein „Refurbishment“ ist zudem wesentlich kostengünstiger und nachhaltiger, denn der Austausch und die Nachrüstung mit Software erfordern weniger Aufwand oder bauliche Veränderungen.

Braucht es für KI neue Qualifikationen?
Seiler: Nein. KI wird keinen Arzt, keine Ärztin ersetzen, aber sie erleichtert ihnen ganz wesentlich die Arbeit. Ein Beispiel: In einer Notfallambulanz werden häufig Röntgenaufnahmen vom Thorax gemacht, um sicherzugehen, dass keine inneren Organe verletzt sind. Ein KI-unterstützter Computertomograph kann hier die zahlreichen Aufnahmen von vorneherein ausschließen, die keinen signifikanten Befund zeigen, erkennt aber außerdem ein Problem in einem anderen Teil des Körpers, das der Arzt vielleicht gar nicht auf der Agenda hatte.

Wie muss man sich die Zusammenarbeit von Siemens Healthineers mit Krankenhäusern vorstellen?
Seiler: Zum einen sind Kliniken oder Praxen unsere Kunden. Als möglicher Lieferant beteiligen wir uns an Ausschreibungen und falls wir zum Zuge kommen, stellen wir die gewünschten Produkte oder Features zur Verfügung. Zum anderen arbeiten wir intensiv mit einigen Kliniken über Kooperationsverträge bei der Entwicklung neuer Systeme und Leistungspakete zusammen. Denn auf das Feedback und den wissenschaftlichen Austausch mit den Ärzten und Ärztinnen sind wir angewiesen, um unsere Systeme für den Praxiseinsatz immer noch besser zu machen. Gerade die Mannheimer Universitätsmedizin ist hier ein langjähriger und vertrauensvoller Partner.

Die Fragen stellten Gabriele Koch-Weithofer und Ulla Cramer.