Clevere Lösungen für den Rübenanbau
Ein reduzierter Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und ein effektiverer Ackerbau durch Digitalisierung stehen im Fokus der Arbeit im Südzucker-Versuchsgut Kirschgartshausen. Ganz oben steht jedoch die Biodiversität.
VON DR. GABRIELE KOCH-WEITHOFER

Mais, Mangold und immer wieder Zuckerrüben: Im kleinen Schaugarten am „Der hohe Weg zum Rhein“ wachsen sie in Beeten nebeneinander – mal mit Pflanzenschutzmitteln behandelt und mal ohne, sich selbst überlassen. Da glänzt im Spätsommer dunkelgrünes Rübenkraut neben Pflanzen, bei denen sich Blätter bräunlich kräuseln. Wo (Un)Kraut und Rüben ungestört nebeneinander wild wuchern dürfen, sind Rüben allerdings Mangelware. Die wenigen, die sich gegen Quecken, Melden & Co. behaupten, sind mickrig und karottendürr. Kein Vergleich mit den bekannten prallschweren Rübenfrüchten.
„Eine Rübenkultur bringt es im Schnitt auf 80 bis 100 Tonnen pro Hektar“, erklärt Dr. Peter Risser. Er leitet das Versuchsgut der Südzucker AG in Kirschgartshausen, zu dem auch der Schaugarten gehört. „Ohne menschliches Dazutun, ohne Düngen, Pflanzenschutz, Unkrautjäten und mitunter – wie im trockenen Sommer 2022 – auch Beregnen, kann man nur etwa ein Zehntel davon ernten.“ Wer eine auskömmliche Ernte will, muss also etwas dafür tun. Nur was ist wirtschaftlich und schont gleichzeitig die Umwelt?

Genau um solch clevere Lösungen geht es Südzucker auf dem Versuchsgut im Norden Mannheims. Seit 1862 bewirtschaftet das Unternehmen die vom Land Baden-Württemberg gepachtete Staatsdomäne. In den Anfängen ging es tatsächlich um Rübenanbau für die Zuckerproduktion. Doch Rüben kauft der Konzern längst vorwiegend bei Vertragslandwirten ein. Seit 2018 nutzt er den Hof mit seinen rund 300 Hektar Land für Feldversuche. Neben einem gezielten, reduzierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und der Nutzung der Digitalisierung für einen effektiveren Ackerbau steht vor allem die Biodiversität ganz oben auf der Agenda. Wie wichtig Biodiversität – also die Artenvielfalt – ist, zeigt der seit Jahren beobachtete dramatische Rückgang der Insekten. Sie dienen nicht nur Vögeln als Nahrung. Als Bestäuber sorgen sie auch für das Überleben vieler Pflanzen. Im Versuchsgut hat man für sie Blühstreifen mitten in den Rübenäckern angelegt. Sie ergänzen die mit Sträuchern bepflanzten Ackerraine. Zweimal sechs Meter misst so ein Blühstreifen. „Das hängt mit der Breite der Sämaschine zusammen“, erläutert Risser. Ausgesät werden mehrjährige Blumen und Gräser, die unterschiedlich hoch wachsen und zu verschiedenen Zeiten blühen. So bieten sie im Sommer wie im Winter reichlich Nahrung für Insekten und Vögel. Unterschlupf und Schutz bietet der Wildwuchs aber auch Rehen, Hasen, Mäusen und anderen Tieren. Was genau hier kreucht und fleucht, messen Forschende des Instituts für Agrarökologie und Biodiversität (ifab) in Mannheim. Südzucker arbeitet eng mit dem Institut unter Leitung des renommierten Agrar- und Landschaftsökologen Dr. Rainer Oppermann zusammen.

Leiter des Versuchsguts Kirschgartshausen.
Jedes Jahr sammeln Diplom-Umweltwissenschaftlerin Dr. Sonja Pfister und ihr Team von Anfang April bis Oktober Insekten mit Netzkeschern und Fensterfallen ein. Die Arten lassen sich dann zählen und bestimmen. Bis zu sechsmal mehr Biomasse kommt in den Blühstreifen zusammen als auf reinen Rübenäckern, darunter viele Wild- und Honigbienen sowie Hummeln. Auch deutlich mehr Nützlinge werden gezählt, die zur natürlichen Schädlingsbekämpfung beitragen. Von den Ergebnissen profitieren sowohl die Zuckerrübenanbauer durch die Beratung und den Erfahrungsaustausch als auch die Kunden und letztendlich wir alle durch mehr Lebensraum für Insekten und damit eine Steigerung der Biodiversität.
Auch neue Verfahren zur Unkrautbekämpfung testet Südzucker in Kirschgartshausen. Seit 2020 arbeitet ein solarbetriebener Ackerroboter mit: Den „FarmDroid“ hat ein dänisches Start-up für die automatische Aussaat und Unkrautbekämpfung entwickelt. Einmal pro Woche fährt er im Schritttempo übers Feld. Von der Aussaat her kennt er die Position jeder Rübenpflanze und weiß genau, wo er harken soll – und wo nicht. Bis auf einen Zentimeter jätet er mit Scherendrähten um die Pflanze herum. „Damit schafft er es, die Rüben unkrautfrei zu halten“, betont der Versuchsleiter. Gerade im Bioanbau ist Pflege von Hand sehr aufwändig und kostenintensiv. „Wo ich im konventionellen Anbau vielleicht zehn Stunden brauche, kommen für die gleiche Fläche beim Biobauern leicht 200 Stunden zusammen“, erklärt Risser. Da kann sich ein Vollautomat schon rechnen. Trotzdem bleiben im biologischen Anbau noch einige Stunden Handarbeit übrig, deshalb ist dieser Zucker auch teurer. Auch andere Systeme, wie GPS und Apps, werden auf Praxistauglichkeit untersucht. „Wir nutzen Prognosemodelle, Satellitendaten und Drohnen, um den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutz weiter zu optimieren“, so Risser. Mit punktgenauem „Spot-Spraying“ kann beispielsweise der Pestizid-Einsatz um 50 bis 90 Prozent verringert werden, weiß der Experte. Dies hängt sehr stark davon ab, wie viele Unkräuter auf dem Feld wachsen oder wie hoch der Krankheitsdruck ist. Je nach Witterung ergeben sich zum Teil deutliche Unterschiede in der Einsparung. Auch die Stickstoffdüngung der Rüben konnte in den letzten 30 Jahren halbiert werden.
Das ist gerade in der aktuellen Situation mit rasant steigenden Energiepreisen und damit auch sehr teuren Düngemitteln interessant. „Eine möglichst vielfältige Fruchtfolge aus Halm- und Blattfrüchten, Sommer- und Winterkulturen sowie Zwischenfrüchten ist Voraussetzung für einen nachhaltigen Ackerbau“, unterstreicht der Fachmann. Er baut auf dem Versuchsgut im Wechsel Rüben, Acker- oder Sojabohnen, Winterroggen, Raps und Wintergerste an. Das Getreide in Kirschgartshausen wird u. a. zur Saatgutproduktion angebaut, alternativ findet es Verwendung als Brotgetreide oder in der Tierfütterung, je nach Qualität. Innerhalb der Südzucker-Gruppe wird es bei der Unternehmenstochter CropEnergies als Rohstoff für nachhaltiges Ethanol eingesetzt. Das gewonnene Wissen gibt man gerne an Landwirte weiter, etwa bei den DLG-Feldtagen. 2022 fand diese Open-Air-Messe in Kirschgartshausen statt.

Beim Branchentreff alle zwei Jahre stehen Live-Vorführungen innovativer Geräte und der Austausch über Anbaumethoden im Mittelpunkt. Viele andere Besucher kommen übers Jahr vorbei, Schüler, Azubis und Studenten ebenso wie Partnerbetriebe aus dem In- und Ausland. Auch Radler halten am Wochenende gern an und informieren sich via Schau- und Infotafeln an den Pflanzungen. „Das Gelände ist bewusst für jeden und jede offen. Ab Frühjahr beschildern wir die neue Bepflanzung“, so Risser.
Zitat:
„Bis 2022 haben wir in Deutschland in Kooperation mit unseren Landwirten bereits rund 2.000 Blühstreifen angelegt. Das entspricht einer Fläche von über 330 Fußballfeldern.“
Dr. Peter Risser, Leiter des Versuchsguts Kirschgartshausen
