Mit einer 110-kV-Freileitung, mit deren Bau 1953 begonnen wurde, war die Stromversorgung der Stadt Mannheim über Jahre hinaus gesichert.
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Sie ist mit ihrer Unternehmenshistorie tief in der Geschichte Mannheims verwurzelt: die MVV.Und sie setzt mit ihrem „Mannheimer Modell“ auf eine klimapositive Zukunft.

von Ulla Cramer

Dass einmal Strom aus der Steckdose, Wärme aus der Leitung, Wasser aus dem Hahn kommen, dass Abfälle verwertet werden: Mit dieser Vorstellung hätte man Ende des 19. Jahrhunderts weithin ungläubiges Staunen ausgelöst. Mit Leuchtgas erhellte Straßen waren eine Sensation. Elektrizität für die zunehmende Zahl produzierender Unternehmen wurde vor allem durch die Verfeuerung von Kohle gewonnen, schmutzig und gleichzeitig gefährlich. Wasser musste aus öffentlichen Brunnen mit Eimern beschwerlich in die Wohnungen geschleppt werden. Es gab immer wieder Krankheiten und Epidemien. Doch die industrielle Nachfrage und die wachsenden Ansprüche an individuellen Komfort, Wohlstand, Gesundheit und Mobilität führten zu einem ansteigenden Energie- und Wasserbedarf. Die Stadt Mannheim stellte sich schon früh dieser Verantwortung und beteiligte sich an der Finanzierung des ersten Gaswerks in der Stadt im Quadrat K6, das sie 1873 übernahm – der Start für die Geschichte der Energie- und Wasserversorgung in Mannheim.

"Wir wollen Vorreiter bei der Energiewende und mit dem ‚Mannheimer Modell‘ Vorbild für viele Städte und Kommunen in Deutschland und Europa sein."
Dr. Georg Müller,
Vorstandsvorsitzender MVV Energie AG
Foto: MVV

Und es blieb nicht beim Gaswerk.1882 wurde der Ingenieur Oskar Smreker beauftragt, eine zentrale Wasserversorgung für das rasant wachsende Mannheim sicherzustellen. 1889 wurde der Wasserturm – bis heute eines der bekanntesten Gebäude in Mannheim – nach Entwürfen des Architekten Gustav Halmhuber fertiggestellt. 1906 übernahm die Stadt das Elektrizitätswerk im Industriehafen. Abnehmer der neuen Form von Energie waren hauptsächlich die 1900 eingeweihte, elektrisch betriebene Straßenbahn sowie zu geringeren Teilen kleine und mittlere Industriebetriebe. Da Strom in dieser Zeit noch etwa viermal so teuer wie Gas war, wurde die öffentliche Beleuchtung lange Jahre vorzugsweise mit Gas betrieben. 1921 unterzeichnete die Stadt Mannheim den Gründungsvertrag für die Grosskraftwerk Mannheim AG (GKM), deren am Rhein gelegenes Kraftwerk 1923 den ersten Strom lieferte.

In Riesenschritten ging es nach dem 2. Weltkrieg weiter: Anfang der 1960er-Jahre wurde das Heizkraftwerk auf der Friesenheimer Insel in Betrieb genommen und konnte so die Industriebetriebe im Norden der Stadt mit Dampf versorgen. 1959 wurde Mannheim erstmals mit Fernwärme beheizt und als erstes öffentliches Gebäude das Nationaltheater Mannheim an das Netz angeschlossen. Die Geburtsstunde des Unternehmens MVV schlug dann 1974, als aus den Mannheimer Stadtwerken die „Mannheimer Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft“ (MVV) mit ihren Töchtern entstand. 1999 ging MVV an die Börse und wurde teilprivatisiert. Größter Anteilseigner blieb jedoch die Stadt Mannheim.

Nachhaltigkeit stand schon in den frühen 2000er-Jahren bei der MVV ganz oben auf der Agenda. 2021 startete MVV mit dem „Mannheimer Modell“ in eine klimapositive Zukunft. „Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein, MVV spätestens 2040“, brachte der MVV-Vorstandsvorsitzende Dr. Georg Müller die Pläne auf den Punkt. „Und wir blicken über 2040 hinaus. Dann wollen wir klimapositiv werden. Die Fernwärme ist dabei ein zentraler Baustein.“ Mehr als zwei Drittel des Mannheimer Wärmebedarfs werden heute bereits mit Fernwärme gedeckt. Bis spätestens 2030 soll die Fernwärmeversorgung zu 100 Prozent auf grüne Energiequellen umgestellt werden. „Seit der Anbindung unserer Abfallverwertung auf der Friesenheimer Insel im Jahr 2020 können wir den Fernwärmebedarf in den Sommermonaten bereits komplett grün abdecken“, so Müller. „2023 folgten weitere Meilensteine für den Ausbau der erneuerbaren Fernwärmeerzeugung, zum Beispiel die Inbetriebnahme einer ersten Flusswärmepumpe, mit deren Hilfe das Flusswasser des Rheins als klimaneutrale Wärmequelle genutzt werden kann, sowie eine Klärschlammbehandlungsanlage. Und 2024 werden wir unser Biomassekraftwerk auf der Friesenheimer Insel an das Fernwärmenetz anschließen.“

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Prozessdampf aus Kakaoschalen
Ralf Klöpfer, MVV-Vorstandsmitglied (l.), und Andreas Rudolph, Geschäftsführer des Mannheimer Standorts von ofi, nehmen gemeinsam die Dampferzeugungsanlage von ofi im Mannheimer Hafen in Betrieb. Foto: MVV

Jedes Jahr erreichen rund 87.000 Tonnen Kakaobohnen über den Neckar das Unternehmen OLAM Food Ingredients (ofi). Sie kommen aus Nigeria, der Elfenbeinküste und Kamerun. Im Mannheimer Hafen werden sie von den 155 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lebensmittelspezialisten zu Kakaomasse, Kakaobutter und Kakaopulver verarbeitet und an Industriekunden verkauft. Zurück blieben die Kakaoschalen. Diese wurden auf Lkw geladen und anderweitig verwertet – bis zum 30. Juni 2023. Mit einem feierlichen „Knopfdruck“ feierte das Unternehmen an diesem Tag die Inbetriebnahme einer neuen Biomasseanlage. Statt wie bisher über gasbefeuerte Dampfkessel wird seitdem 90 Prozent des benötigten Prozessdampfs bei ofi aus Kakaoschalen erzeugt und damit die CO2-Emissionen des Unternehmens um etwa 8.000 Tonnen jährlich reduziert. „Das Thema Nachhaltigkeit hat in unserer Unternehmensgruppe einen sehr hohen Stellenwert“, so Andreas Rudolph, Geschäftsführer des Standortes in Mannheim, der sich freut, dass die Pläne aus Mannheim inzwischen auch in anderen Werken der Gruppe umgesetzt wurden. „Als wir uns vor einigen Jahren für diese Umstellung entschieden, lagen die Gaspreise noch deutlich niedriger. Dass heute der Einsatz von Kakaoschalen zur Produktion von Energie nicht nur aus umwelttechnischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Aspekten Sinn macht, ist eine Entwicklung, die wir damals nicht voraussehen konnten, aber von der wir natürlich profitieren. Unsere Entscheidung macht uns aber nun unabhängiger von der volatilen Situation am Gasmarkt.“

Partner bei dem Projekt war die MVV-Tochtergesellschaft MVV Enamic, die vor allem im Geschäftskundenbereich aktiv ist. Sie hat die neue Biomasseanlage nicht nur im Rahmen eines Contracting-Dampfliefervertrags geplant und umgesetzt, sondern auch für die folgenden 16 Jahre ihre Betriebsführung übernommen. Die erste Biomasse-Kesselanlage dieser Art in Deutschland wurde eigens für ofi konzipiert und hatte einige Herausforderungen zu bewältigen – vor allem durch die Lage direkt am Neckarufer. Um den Hochwasserschutz zu gewährleisten, befindet sich die gesamte Kesselanlage auf zwei Meter hohen Stützen, sodass ihr Verdrängungsvolumen sehr gering ist. Für die Luftreinhaltung ist sie mit modernster Filtertechnologie ausgestattet.

Wie wichtig das Thema Nachhaltigkeit auch bei den Kunden seines Unternehmens ist, die bereits in den frühen Phasen der Lieferkette entsprechende Aktivitäten einfordern, weiß Rudolph. Und sieht die Bedeutung einer entsprechenden Investition ebenfalls unter diesem Aspekt. Er schätzt außerdem, dass es mit ofi am Mannheimer Hafen vorangeht, einer Gesellschaft mit einer langen Tradition am Standort. 1923 gründeten die Bankdirektoren Hans Herrmann und Fritz Ammon die Schokinag als Fabrik für Industrieschokolade, die 2009 an den US-Nahrungsmittelhersteller Archer Daniels Midland (ADM) verkauft wurde, der sich aber schon nach einigen Jahren wieder von seiner Investition trennte – und das Unternehmen bei diesem Verkauf an zwei unterschiedliche Konzerne abgab. Die Kakao-Sparte ging an die OLAM-Gruppe aus Singapur, die ihr Unternehmen 2020 in drei Sparten aufteilte.

Die OLAM Food Ingredients (ofi) beschäftigt weltweit über 22.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in mehr als 110 Fertigungsstätten und 15 Innovations-Zentren in 49 Ländern und ist weltweit einer der größten Verarbeiter von Kakao, Kaffee, Molkereiprodukten, Nüssen und Gewürzen.  uc