2018 zog das Mannheimer Stadtarchiv in sein neues Domizil um. Foto: Kathrin Schwab

Den Umzug in einen ehemaligen Bunker hat das Mannheimer Stadtarchiv genutzt, um Platz für spannende Ausstellungen über die Quadratestadt zu schaffen.

von Dr. Dieter Keller

Stadtarchiv klingt nach kilometerlangen Regalen mit Dokumenten, die nur für Fachleute interessant sind. Mannheim ist einen innovativen Weg gegangen: Das Stadtarchiv erhielt mit MARCHIVUM einen neuen Namen und wurde mit einem neuen Konzept viel breiter aufgestellt. „Unser Leitbild steht für die Verantwortung gegenüber der Geschichte Mannheims und für die Vermittlung des historischen Erbes in die Gegenwart“, so das Selbstverständnis. In wechselnden Sonder- und zwei Dauerausstellungen wird mit modernster Technik die Geschichte der Quadratestadt anschaulich gemacht.

"Ich möchte das MARCHIVUM
zu einem Ort des historisch-politischen Diskurses entwickeln."
Dr. Harald Stockert, Direktor des MARCHIVUM
Foto: Kathrin Schwab

Der Auslöser war 2018 der Umzug in ein eigenes Gebäude mit einer wechselvollen Geschichte: Der größte Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg wurde für über 18 Millionen Euro um- und ausgebaut. 1940 bis 1943 errichtet, bot er in den Kriegsjahren bis zu 7.500 Menschen Schutz. Nach dem Krieg wurde er angesichts der starken Schäden in Mannheim noch lange als Wohnraum genutzt. Jetzt steht er unter Denkmalschutz – und birgt viel mehr als Mannheims historisches Gedächtnis.

Dazu wurde der Bunker um zwei Etagen aufgestockt, die mit großen Glasfronten dem Betonkoloss neue Leichtigkeit verleihen. Hier sind nicht nur der Lesesaal und die Verwaltung untergebracht, sondern im sechsten Stock auch ein Vortragssaal, benannt nach dem Gründer des Stadtarchivs, Friedrich Walter. Regelmäßig locken Vorträge Besucherinnen und Besucher ins Haus. Das Themenspektrum ist vielfältig: von spannenden Mannheimer Kriminalfällen bis zur Musikgeschichte. Auch in der Nach-Corona-Zeit werden die Abende häufig live im Netz gestreamt. Doch wer selbst ins Haus kommt, kann u. a. einen unvergleichlichen Ausblick auf das Mannheimer Panorama genießen.

In den Stockwerken darunter haben über 16 Kilometer Archivmaterial eine Heimat gefunden, der Platz reicht einige Jahre noch für viel Neues, auch wenn heutzutage etliches digital archiviert wird. Beispielsweise die Ratsprotokolle der Stadt bis ins 17. Jahrhundert, die den Krieg überstanden haben. Zu finden sind hier auch die Mannheimer Tageszeitungen. Regionale Unternehmen und Privatleute haben ebenfalls jede Menge „Material“ beigesteuert.

Für Besucherinnen und Besucher interessanter sind allerdings vor allem die ersten beiden Etagen. Im Erdgeschoss schlägt die stadtgeschichtliche Ausstellung „Typisch Mannheim“ einen weiten Bogen von der Gründung 1606/07 der Stadt bis zur Gegenwart, und das mit modernster Multimedia-Technik. Da finden sich weniger historische Ausstellungsobjekte als animierte Darstellungen. An einem Stadtmodell wird beispielsweise gezeigt, wie die Quadratestadt entstanden ist und sich ausgedehnt hat. Die Kurpfälzischen Kurfürsten werden in ihren Bilderrahmen lebendig und streiten, wer wohl der wichtigste war.

Auf dem Nachbau des ersten Autos von Carl Benz kann man eine digitale Fahrt durch die Stadt unternehmen.
Foto: Kathrin Schwab

Einige Dokumente sind aber doch zu finden. Etwa die Teilnehmermedaille von Sepp Herberger von der Fußballweltmeisterschaft 1954. Der erste Bundestrainer ist in Mannheim geboren. Auch eine Schallplatte von Joy Fleming ist zu bewundern,  „der“ Sängerin von Mannheim, und daneben die Spätzlepresse, mit deren Hilfe Dario Fontanella in den 1950er-Jahren das Spaghetti-Eis in den Quadraten erfunden hat. Auf einem Objekt können die Besucher sogar Platz nehmen und selbst aktiv werden: dem Nachbau des weltweit ersten Autos, das Carl Benz 1886 in Mannheim zum Laufen brachte. Wer sich ans Steuer – oder besser gesagt an die Lenk-Kurbel – wagt, kann eine digitale Fahrt durch die Stadt im Wandel unternehmen.

Das Stockwerk darüber ist dem dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte gewidmet: Die Ausstellung „Was hat das mit mir zu tun?“ zeigt die Stadt zur NS-Zeit, ebenfalls multimedial und interaktiv. Dazu gehören auch die Lebensschicksale von Opfern wie von Tätern. In einem Originalraum wird zudem die Geschichte des Bunkers dargestellt.

Mit diesen Dauerausstellungen und regelmäßigen Sonderschauen will das MARCHIVUM-Team bis zu 30.000 Interessenten pro Jahr ins Haus locken – ein Vielfaches dessen, was ein traditionelles Stadtarchiv erreicht.

Gemeinsame Jubiläumschronik von MARCHIVUM und MVV
Sind stolz auf ihre gemeinsame Publikation: Dr. Georg Müller, Vorstandsvorsitzender MVV Energie AG (l.), und Prof. Dr. Ulrich Nieß, früherer Direktor des MARCHIVUM.
Foto: Jessica Cramer

Gemeinsam mit dem MARCHIVUM hat das Mannheimer Energieunternehmen MVV Energie AG seine 150-jährige Geschichte aufgeschrieben. Auf 560 Seiten wurde die beeindruckende Entwicklung von MVV zusammengetragen: von der Gründung 1873 zu einem der größten deutschen Energieversorger mit der Aussicht auf ein klimapositives Geschäft im Jahr 2040.   dik